Die internationale Presse analysiert Kriegsprozesse im Südkaukasus, ihre Ursachen und Entwicklungsszenarien des Georgienkonflikts, der heute im Mittelpunkt des Interesses steht.
Die slowenische Tageszeitung DNEVNIK überlegt sich die Folgen des Eingreifens der Weltmacht Russland in den südossetischen Konflikt:
„Durch ein schnelles Ausbreiten des Krieges im Kaukasus könnte dieser in den nächsten Tagen über die georgischen Grenzen schwappen und Europa würde sich mit der schwersten Krise an seiner Schwelle nach dem zweiten Weltkrieg konfrontiert sehen. Der Krieg in Jugoslawien könnte im Vergleich zum kaukasischen Kessel auf die letzten Seiten der Geschichtsbücher verschwinden. Nach der Implosion der Sowjetunion war die Welt einem neuen Kalten Krieg noch nie so nahe. […] Die Zweifel an einer Rückkehr Russlands unter die Weltmächte sind nun endgültig verflogen. Die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen werden neu definiert. Die Urangst vor dem russischen Bären hat neuen Auftrieb bekommen.“
Auf Seiten von GAZETY WYBORCZA aus Polen protestieren Präsidenten Estlands, Lettlands, Litauens und Polens gegen das russische Vorgehen. Die abgedruckte Erklärung der Staatsmänner lautet:
„Wir, die Führer der früher versklavten Nationen Osteuropas, jetzt Mitglieder der Europäischen Union und der NATO – Estland, Lettland, Litauen und Polen, äußern unsere große Beunruhigung über das Vorgehen der Russischen Föderation gegenüber Georgien. […] Als Antwort auf die einseitigen militärischen Aktivitäten der russischen Streitkräfte werden wir alle Mittel nutzen, die uns als Präsidenten zur Verfügung stehen, um sicher zu gehen, dass die Aggression gegenüber einem kleinen Staat in Europa nicht verschwiegen oder mit unbedeutenden Erklärungen abgetan wird, die die Opfer mit den Tätern gleichsetzen. […] Die EU und die NATO müssen die Initiative ergreifen und sich der Verbreitung der imperialistischen und revisionistischen Politik im Osten Europas widersetzen.“
Konservative Zeitung MAGYAR NEMZET aus Ungarn gibt Präsidenten Saakaschwili die Schuld für Gewalt im Kaukasus:
“Micheil Saakaschwili ist in Nöten. […] Obwohl er mit seiner Rhetorik die Weltpresse beherrscht, mal von einem klaren Sieg, mal vom Rückzug der Truppen spricht, mal von der Aggression Russlands, mal von Demokratie und westlichen Werten schwadroniert (nachdem er Demonstrationen zerschlagen, Wahlbetrug begangen und die südossetische Hauptstadt Zchinwali in Schutt und Asche gelegt hat), ist trotz des Rückenwindes aus dem Westen eines deutlich zu sehen: Der georgische Präsident hat sich ordentlich verkalkuliert. … Saakaschwili und Georgien haben möglicherweise den größten internationalen Konflikt seit Jahren vom Zaun gebrochen. … Der georgische Präsident hat seine Wünsche mit der Realität vermischt, und er hat sich dabei sichtlich verschätzt. … So rechnete er nicht ernsthaft mit Gegenschritten Moskaus. Oder sein Kalkül bestand schlechthin darin, Russland die Aggression in die Schuhe zu schieben. … Saakaschwili hat jedenfalls ein mächtiges Eigentor geschossen.“
Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA sinniert:
„Russland zeigt offen das Bedürfnis, seinen einstigen Großmacht-Status zurückzuerlangen. Die Leichtigkeit, mit der die russische Führung die Entscheidung über die Bombardierung georgischer Städte getroffen hat, muss schlimmste Erinnerungen wecken. Gerade deshalb entschlossen sich die baltischen Länder, die Ukraine und Aserbaidschan blitzartig zu diplomatischer Zusammenarbeit. Innerhalb der deutschen Regierung kann man eine beunruhigende Spaltung der Positionen zum georgisch-russischen Konflikt beobachten. Die deutlich pro-russische Deklaration des deutschen Außenministeriums und die wesentlich gemäßigteren Äußerungen aus dem Kanzleramt geben zu denken.“
Die Zeitung POSTIMEES aus Estland zieht Parallelen und befürchtet, dass es dasgleich widerfahren könnte wie Georgien:
„Nicht nur Estland, sondern auch die anderen NATO-Neumitglieder müssen ihre Versprechen an Georgien halten, und die Regierungen müssen Russland klar machen, dass die Allianz auf keinen Fall unterschätzt werden darf. Estland sollte sich auf keinen Fall der Hoffnung hingeben, dass uns nicht dasselbe widerfahren könnte wie Georgien. Russland hat bereits mehrfach deutlich gemacht, dass es seine Bürger überall schützen will, und in der letzten Zeit waren wieder häufig Klagen aus Moskau zu hören, in Estland würden Russen benachteiligt.“
Die tschechische Zeitung HOSPODARSKE NOVINY behauptet dagegen:
„Dieser Krieg war von beiden Seiten gewollt und provoziert […] Die Regierung in Tiflis geht dabei allerdings recht unerfahren vor. Ein Krieg gegen einen mächtigeren Nachbarn ist sicherlich nicht die geschickteste Art und Weise, die Integrität seines Territoriums zu verteidigen. Denn die Bemühungen, in Georgien eine Demokratie westlichen Typs zu errichten und den NATO-Beitritt zu erreichen, sind Russland ein Dorn im Auge.“
THE TIMES aus Großbritannien weist auf die Gefahren hin, die von Russland ausgehen:
“Georgien will vernünftigerweise enge Verbindungen mit dem Westen. Es sieht die baltischen Staaten als Präzedenzfall dafür, dass ehemalige Sowjetrepubliken die Mitgliedschaft der NATO suchen. Der Neoimperialismus, der von Moskau praktiziert wird, ist ein klarer Grund für Georgien, auf dieser Strategie zu bestehen. Russland kann nicht als ein plausibler Schiedsrichter in Streitfällen in dieser Region angesehen werden, wenn es nicht die legitimen Ziele anderer Staaten anerkennt. Die westlichen Regierungen, wie jede andere auch, wollen keinen Konflikt in dieser Region. Aber es hat seinen Preis, stumme oder zweischneidige Botschaften auszusenden. Russlands Verhalten ist unverschämt. Es sollte gewarnt werden, dass es den Status eines international Geächteten riskiert, sollte es sich nicht zurückziehen.“
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kritisiert das unverhältnismäßig harte Vorgehen Moskaus:
„Von Verhältnismäßigkeit im Sinne der vielen Theoretiker und Völkerrechtler kann keine Rede sein. Der brutale Einsatz von Kampfbombern und Raketen gegen georgisches Territorium und Wohnhäuser von Zivilisten als Antwort auf – wahrscheinlich provozierte – Übergriffe gegen russische sogenannte Friedenssoldaten zeigt dies überdeutlich. Verhältnismäßig ist das Vorgehen in russischen Augen dagegen schon: eine bewusst überproportionale Reaktion, um dem Nachbarn eine Lektion zu erteilen, die dieser nicht vergisst. Und um dem Westen vorzuzeigen, dass seine Macht enge Grenzen hat.“
Die niederländische Zeitung TROUW unterstreicht:
„Der Verlauf der Kämpfe zeigt nur, wie Recht die Balten, Polen, Georgier, Ukrainer und andere direkte Nachbarn Russlands haben. Nur die feste Integration im Westen, einschließlich der NATO-Mitgliedschaft, bietet Schutz gegen russische Einmischung.“
LE FIGARO aus Frankreich betont die Vermittler-Rolle des aktuellen EU-Ratspräsidenten:
“Die diplomatische Phase, die sich in Südossetien eröffnet, wird komplizierter sein als die begonnenen Kampfhandlungen. Jenseits des Schicks
als einer separatistischen Provinz Georgiens und bald einer zweiten, Abchasiens, sind es die gesamten Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, die in der Waagschale liegen. […] Als Führer Europas befindet sich Frankreich in einer Hauptposition, um eine entscheidende Vermittlung für die Zukunft zwischen Osten und Westen durchzuführen. […] Zwischen den Vereinigten Staaten und Russland spielt die EU die wichtigste Rolle. Indem sie die deutsche Initiative bezüglich Abchasien verlängert, muss die europäische Diplomatie den Weg finden, eine Vermittlung mit Moskau zu eröffnen, um Frieden auf unserem Kontinent zu bewahren. Dies ist eine schwere Verantwortung für die französische Präsidentschaft.“
Die schwedische Zeitung SYDSVENSKA DAGBLADET aus Malmö beschreibt die Position Europas:
“Europa ist in der Georgien-Frage gespalten, und erst am Mittwoch wollen die EU-Außenminister formell über die Krise diskutieren. Mit Hinblick auf das bisherige Auftreten der Union gegenüber Russland besteht wenig Anlass zu Optimismus – zu groß ist die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Trotzdem muss die EU deutlich machen, dass sie das militärische Vorgehen Russlands gegen sein Nachbarland nicht akzeptiert, und ein mögliches Druckmittel wäre die Frage der Abschaffung des Visumzwangs für russische Bürger.“
Die spanische Zeitung EL PAÍS beschreibt Intervention Georgiens als tragischen Fehler:
„Die Entscheidung des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili zur militärischen Intervention in Südossetien war ein tragischer Fehler. Der Staatschef durfte trotz aller Provokationen der Separatisten das Recht nicht in die eigene Hand nehmen. Das gewaltsame Vorgehen gegen Ossetien ist nicht zu rechtfertigen. Die Entscheidung stellt aber obendrein auch einen politischen Fehler dar. Und daraus versucht Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin nun, Kapital zu schlagen.“
DER STANDARD aus Österreich entwickelt alternative Entwicklungsszenarien des Konfliktes, die gar nicht uninteressant sind:
„Wäre Georgien schon NATO-Mitglied, wie es vor allem die USA wollten, dann hätte die Allianz jetzt einen Verteidigungsfall. Amerikaner, Deutsche, Kanadier, Spanier – sie alle müssten den Georgiern zu Hilfe eilen und die anlaufende Invasion der Kaukasusrepublik zu beenden versuchen. Man kann es aber auch weiterdenken: Wäre Georgien Mitglied der Nato – kommenden Dezember wollten die Nato-Minister über den Beitrittsplan beraten -, wäre es gar nicht erst zu dem Krieg gekommen. Russland hätte nicht gewagt, Georgien anzugreifen, und Saakaschwili hätte es sich zweimal überlegt – mit freundlicher Nachhilfe des Westens -, ob er die anderen NATO-Staaten in einen Konflikt um eine winzige Separatistenprovinz ziehen dar.“
Die Zeitung JIEFANG RIBAO aus Shanghai erläutert, warum die Invasion Georgiens nicht im europäischen Interesse ist:
„Saakaschwili hatte fälschlicherweise angenommen, er könne mit den USA und dem Westen im Rücken Moskau nach seiner Pfeife tanzen lassen. Doch er hat nicht die Notwendigkeit gesehen, die Vor- und Nachteile seiner Handlungen für die USA und den Westen sorgfältig abzuwägen. Zwar sind diese immer weiter in den strategischen Einflussbereich Russlands vorgedrungen, aber eine militärische Intervention war gar nicht in ihrem Sinne. Denn die passt überhaupt nicht zu der heutigen Zeit, in der man auf Ausgleich bedacht ist und versucht, Konflikte auf dem Verhandlungswege zu lösen.“
von Michail Logvinov
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