Analyse zur lettischen Bildungsreform

In Lettland wurden jüngst Unterschriften gegen die Bildungsreform gesammelt. Damit protestiert die russischsprachige Bevölkerung dagegen, dass künftig mehr als 50 Prozent des Unterrichts in lettischer Sprache abgehalten werden soll.

Das Bildungsministerium ist nicht zu Unrecht der Ansicht, dass dieser Protest ein wenig spät kommt, da die entsprechende Gesetzgebung schon vor Jahren verabschiedet und unter der Regierung von Einars Repse, die bis Anfang 2004 im Amt war, sogar liberalisiert wurde. Ursprünglich waren nahezu 100 Prozent gefordert worden.

Richtig ist, dass die Proteste lang e in Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaftsfrage erfolgten. Diese Diskussion kann nur vor dem Hintergrund der Geschichte gesehen werden. Nach Ende der Okkupation durch die Sowjetunion, in der Lettisch neben der russischen Staatssprache als unwichtig galt und der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung auf annähernd 50 Prozent stieg, erhoben die Leiten ihre eigene Muttersprache verständlicherweise wieder zur Staatssprache. Von den früheren Okkupanten verlangen sie nun ihrerseits, endlich die Landessprache zu erlernen. Dies wurde Voraussetzung für die Einbürgerung für jenen Teil der russischsprachig en Bevölkerung, dessen Vorfahren nicht schon in Lettland gelebt hatten. Wer einen Beruf mit Kundenkontakt ausübt, musste auch ohne lettische Staatsbürgerschaft eine Sprachprüfung vorweisen.

Im Westen stießen diese Regelungen zunächst auf heftige Kritik. Jahrelang wurden die lettischen Regierungen von einer Mission der OSZE in Riga beraten. Diese schloss jedoch zum 1. Januar 2002 ihre Pforten, nachdem Lettland alle Forderungen der internationalen Gemeinschaft erfüllt hatte.

Während Alltag und Arbeitsmarkt Lettlands im Grunde noch immer die Zweisprachigkeit fordern, versucht das Bildungsgesetz in mehreren Etappen, zunächst alle staatlichen Hochschulen und nach den Grundschulen nunmehr die Mittelschulen auf die Staatssprache festzulegen. Dies ist jedoch seit Jahren bekannt. Die derzeitigen Proteste dürften also nicht zuletzt mit den bevorstehenden Kommunalwahlen in Zusammenhang stehen. Gerade in Riga und Jurmala lässt sich so unter der russischsprachigen Bevölkerungsmehrheit die Stimmung schüren.

Zu Beginn des laufenden Schuljahres wurden Konflikte bis hin zu Straßenschlachten zwischen lettischen und russischsprachigen Schülern befürchtet. Es flog jedoch keine einzige Tomate. Gleiches dürfte für die jetzige Situation gelten.

Zweifel bleiben allein in praktischer Hinsicht. Lernen russischsprachige Schüler durch den höher en Unterrichtsanteil tatsächlich besser Lettisch? Erfassen sie dabei den Unterrichtsstoff schlechter? Und vor allem: Gibt es genügend Lehrer, die in der offiziellen Staatssprache unterrichten können, ohne ihrerseits Fehler zu machen?

 

von AXEL REETZ

Baltische Rundschau, 2/2005

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